Tag 233: Antsirabe - Handwerk, Hitze, Herzlichkeit

Veröffentlicht am 22. Juli 2025 um 15:30

Heute startete unser Tag um 8:15 Uhr mit einem absolut gigantischen Frühstück – so viel wie noch nie zuvor auf dieser Reise. Der Tisch bog sich regelrecht unter dem, was wir aufgetischt bekamen (wir brauchten zwei Tische): vier riesige Baguettes, vier Rosinenschnecken, Joghurt, Eierspeis (Rührei) und das Gemüse, das wir am Vortag eingekauft hatten. Wir saßen gemütlich beisammen und ließen uns das Essen bis 9:00 Uhr schmecken. Es war ein perfekter Start in den Tag.

 

Bereits um 9:15 Uhr wurden wir auch schon erwartet – unsere heutige Entdeckungstour durch Antsirabe und Umgebung konnte beginnen. Die Fahrt erfolgte mit dem Cyclebus, genauer gesagt einem Tricycle. Das ist im Grunde ein normales Fahrrad, bei dem hinten eine kleine Kutsche für zwei Personen angebracht ist. Tamara und Ju saßen in einem, Kosi und ich in einem anderen. Die Fahrer taten uns ehrlich gesagt etwas leid – diese Dinger zu bewegen ist harte Arbeit, besonders wenn zwei Erwachsene hinten drin sitzen. Doch anscheinend ist das hier ein ganz normales Fortbewegungsmittel, denn gefühlt jeder nutzt es hier.

Unsere Fahrt führte hinaus aus Antsirabe – vorbei an Straßenständen, Wohnhäusern und Feldern – zu einem ganz besonderen Ort: einer kleinen Handwerksfarm zur Zebu-Horn-Verarbeitung.

 

Was ist ein Zebu?

Ein Zebu ist eine Rinderrasse, die in Madagaskar (und vielen anderen tropischen Regionen) weit verbreitet ist. Sie sind leicht an ihrem Buckel und den nach hinten gebogenen Hörnern zu erkennen. Zebus sind nicht nur Fleischlieferanten, sondern auch kulturell bedeutend – sie gelten in vielen Regionen als Statussymbol und sind oft Bestandteil ritueller Feiern. Die Hörner der Tiere unterscheiden sich je nach Farbe: ein schwarzes Zebu hat auch ein schwarzes Horn.

 

Wenn ein Zebu geschlachtet wird, bleibt das Horn übrig – und nichts wird in Madagaskar verschwendet. Hier auf der Farm wird aus den Hörnern alles Mögliche hergestellt: Löffel, Schüsseln, Schmuck, Teller und vieles mehr. Besonders beeindruckend: Zum Schneiden der Hörner wird der Motor einer alten Waschmaschine verwendet. Aus dem Hornrohling wird dann beispielsweise ein Löffel. Dieser wird zum Schluss mit Stofffetzen aus alten Jeans geschliffen und poliert – alles in Handarbeit. Es ist faszinierend zu sehen, wie aus Abfall etwas Schönes und Funktionales entsteht. Wir sahen uns gründlich um und nahmen auch ein paar handgemachte Löffel mit – tolle Souvenirs.

Während Kosi sich noch umschaute, ging ich schon mal vor die Tür. Rina, unser Fahrer, lud mich spontan zu einer Runde Boccia mit drei Kindern ein. Gespielt wurde einfach auf der Erde. Sie waren alle besser als ich – selbst das fünfjährige Kind hatte mehr Präzision und Geschick als ich. Es war ein kurzer, aber schöner Moment kindlicher Freude und echter Begegnung.

 

Anschließend ging es weiter zum nächsten Handwerksbetrieb. Dort saßen mehrere Frauen am Boden und stickten per Hand an großen Tischdecken. Eine Stickarbeit dauert bis zu zwei Wochen, und das mit minimalsten Mitteln. Doch das beeindruckendste war das sogenannte "Souvenir-Rad", ein typisches madagassisches Kunsthandwerk: Aus Flipflops, alten Batterien, Kabeln, Holz, Angelschnüren, Kugelschreiberteilen und sogar Infusionsschläuchen wird hier ein kunstvolles Miniaturfahrrad gebaut – ein Paradebeispiel für kreatives Recycling und die große Einfallsreichkeit der Menschen hier. Keine Maschinen, keine Hektik, nur pure Handarbeit und Geduld.

 

Unser nächster Halt: ein Atelier namens "Pyros". Hier wird aus Pflanzen und Fasern Papier hergestellt. Der Prozess dauert mehrere Stunden: Die Fasern werden 5 Stunden lang in Säure gekocht, dann zu Papier verarbeitet und mit getrockneten Blumen verziert. Am Ende entstehen daraus kleine Kunstwerke, die für rund 1 € verkauft werden – ein absoluter Wahnsinn, wenn man die Arbeit und Liebe zum Detail bedenkt.

 

Als nächstes stand eine Pflanzenanlage auf dem Plan. Was uns dort erwarten würde, wussten wir nicht – es blieb spannend. Der Weg dorthin war steil und uneben, sodass wir ein Stück absteigen und neben dem Tricycle hergehenmussten. Ich durfte sogar einmal selbst in die Pedale treten – gar nicht so einfach! Vorallem nicht, wenn Kosi hinten drinn sitzt. Die Bremsen funktionierten auch nur noch bedingt, aber wir kamen heil an.

Dort angekommen, erwarteten uns unzählige Pflanzen, unter anderem auch riesige Bambusbäume, und inmitten der Anlage ein kleines, süßes Restaurant. Leider gab es nichts Vegetarisches, aber ein Kaffee war immerhin drin. Während wir auf einer Wiese lagen und die Sonne plötzlich hervorkam (es wurde fast zu heiß), erfuhren wir, dass Rinas Cyclebike einen Platten hatte. Er fuhr mit einem der Fahrräder zurück, um den Pick-up zu holen, mit dem er uns später abholte.

 

Weiter ging's mit dem Auto zur Kirche – eine schöne, rustikale karthilische Kirche mit viel Atmosphäre. Danach machten wir noch einen Stopp beim Bahnhof von Antsirabe.

 

Bahnhof Antsirabe

Der Bahnhof in Antsirabe stammt noch aus der Kolonialzeit, erbaut zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Heute ist er so gut wie außer Betrieb. Es verkehren kaum noch Züge, obwohl die Schienen noch vorhanden sind. Viele Gleise sind überwuchert, und es ist ein etwas melancholischer Ort. Wir haben übrigens bisher nicht einen einzigen Zug gesehen – nur Schienen. Es scheint, als sei das einstige Bahnnetz Madagaskars weitgehend stillgelegt worden.

 

Warum??

Die Eisenbahnlinien stammen größtenteils aus der französischen Kolonialzeit (Anfang 1900er-Jahre). Seitdem wurde kaum etwas modernisiert oder gewartet. Viele Strecken, Brücken und Gleise sind baufällig oder komplett unbrauchbar.

Madagaskar wird zudem regelmäßig von Zyklonen heimgesucht. Diese zerstören Schienen, Brücken und Bahnhöfe. Reparaturen sind teuer – und werden oft nicht durchgeführt, weil Geld und Planung fehlen.

Dann kommt nocb dazu, dass Lkw und Busse den Großteil des Transports übernommen haben. Sie sind flexibler und schneller zu organisieren – auch wenn die Straßen oft in schlechtem Zustand sind. Viele Strecken, wo früher Züge fuhren, sind heute komplett auf Straße umgestellt.

 

 

Während Tamara die Gelegenheit nutzte, eine Runde zu reiten, holten sich Jul, Kosi und ich ein Eis und genossen die Nachmittagssonne – einfach ein schöner, herrlicher Moment.

 

Bevor es zurück zur Unterkunft ging, machten wir noch einen Stopp im Supermarkt. Ich war schon ziemlich hungrig und gönnte mir einen teuren, aber proteinreichen Riegel. Doch kaum hatte ich ihn angebissen, stand ein kleines Mädchen vor mir und fragte mit großen Augen, ob sie den Rest haben dürfte. Was soll man da sagen? Natürlich gab ich ihn ihr. Ich hoffe, er hat ihr geschmeckt.

Wir hatten außerdem eine Packung Süßigkeiten gekauft, um sie an die Kinder zu verteilen. Ihre Freude war riesig, jedes einzelne Bonbon wurde gefeiert.

 

Zum Abschluss des Tages ging es noch zu den heißen Quellen eines Vulkans. Kosi und ich beschlossen jedoch, zu Fuß nach Hause zu spazieren – es waren ca. 30 Minuten, aber es tat gut, sich zu bewegen. Die letzten Tage waren aufgrund der Kälte eher bewegungsarm gewesen. Wir fühlten uns einfach etwas "unrund" und wollten das ändern.

Unterwegs sahen wir Kinder, die mit Zigarettenstummeln spielten – ein trauriger Anblick. Trotz des wenigen materiellen Besitzes waren alle freundlich, höflich und voller Leben.

 

Zurück in der Unterkunft rasteten wir erst einmal – so viel hatten wir heute gesehen und erlebt. Gegen 17 Uhr geht es dann zum Abendessen.

Heute heißt es: früh ins Bett, denn morgen steht wieder eine lange Autofahrt an.

 

Madagaskar überrascht uns immer wieder aufs Neue.

 

Bussi Baba,

Kosanni

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